Kunst und Freiheit

Ein Statement zur Diskussion gestellt

DIE FRAGE

Das selbstverständlichste Attribut, das die Kunst begleitet, ist das ihrer Freiheit. Frei ist dabei keine Qualität, die einem Werk zugesprochen werden könnte, sondern einzig den handelnden Menschen. Der Künstler ist der, dem Freiheit zugestanden wird, wenn auch nicht grenzenlos. Zugleich ist er der, der sich Freiheit nimmt mit Berufung auf die Kunst. Wenn die Kunst es fordert, dann ist er bereit, gegen die Regeln des bürgerlichen Ordnungssystems zu opponieren. Weil die Kunst es verlangt! Oder doch nur, weil er sich als Künstler abheben und positionieren will?

Jedenfalls erscheint der Künstler als autonom im Schaffensprozess; er darf, ja er soll im Suchen nach künstlerischem Ausdruck Grenzen  überschreiten. ( Das ist zwar nur ein Moment in der Erwartungshaltung, aber dasjenige, das hier zur Verhandlung steht.)

Diese Forderung geht mehr an den Künstler und weniger ans Werk und ist begleitet von einer geheimen Sehnsucht nach einer Freiheit, die innerhalb der sonst mehr oder weniger streng strukturierten Spielregeln des Alltags nicht möglich ist, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die ängstliche Zurückhaltung als Sorge vor Repressalien schafft sich im Künstler ein Ventil für eigenes Verlangen – oder müsste es nicht schaffte heißen. Nachdem die Steuermechanismen der Gesellschaft nicht mehr über den Konsens zu obrigkeitlicherseits verordneten Regeln laufen, sondern immer mehr in der Automatik und Abhängigkeit von wirtschaftlichen Strukturen unreflektiert akzeptiert sind, scheint über den Rückgang von Normierung der Mensch in der pluralistischen Gesellschaft ein neues Verhältnis  oder zumindest Empfinden zur Freiheit zu bekommen. 

Der Künstler möge durch Überraschungsmomente unterhalten – das ist die daraus resultierende neue Vorgabe an den Künstler.

Grenzüberaschreitung zum Zwecke des Erregungsmoments und des Nervenkitzels. Denn nicht Erfahrung oder gar Erkenntnis über die Anschauung der Kunst sind gefragt, sondern die Abwechslung, das Event. Widerspricht permanente Grenzüberschreitung, als Forderung, als Muss an den Künstler gestellt, aber nicht schon der Idee der Freiheit? Wird als Gegenstand gezielter Herbeiführung im Arbeitstakt die dermaßen eingeforderte Freiheit nicht einfach zum Geschäft des Künstlers?

Seltsam eingeengt erscheint in diesem bewusst zelebrierten Gesellschaftsspiel daraufhin der Rezipient, denn die willkürliche Reaktion auf ein Kunstwerk, als Ausdruck von Autonomie in der Kunstbegegnung, steht im Widerspruch zur Adäquatheit eines geforderten Diskurses, der nur bei Orientierung am Werkcharakter eine zureichende Kritik verspricht. Der emotionalen Erregung, die von Kunstwerken oft bewusst ausgelöst wird, begegnet man von Seiten der Künstler und der Kunstverständigen mit abschätzigen Urteilen und verweist solche Reaktionen in die Rubrik ästhetische Ignoranz. Der Rezipient, das fordert der Kunstmarkt, hat dem Werk gerecht zu werden. Wie orientiert man sich am Werk? Ist andererseits die Empörung nicht häufig soweit provoziert, dass das Publikum ohnehin immer nur in die Falle geht, weil seine emotionale Spontanreaktion der Dünger ist, auf dem die Öffentlichwerdung des Werkes gedeihen soll?

Dem unbestritten notwendigen, aber nur kurz wirkenden Umgang mit Kunst als öffentlich inszenierter Erregung war und ist aber eine andere Form der Kunstbegegnung – selbst noch an denselben Werken – entgegenzuhalten. Denn es gibt  eine Kunst, die im spannungsgeladenen Zugleich besänftigt und Mut macht zur Revolte, eine Kunst, die zeitlos ist und aktuell, die berührt und herausfordert.

Hat aber solche Erfahrung schon etwas mit Freiheit zu tun, wo doch Freiheit kein Gegenstand der Erfahrung ist? Gab es jemals und gibt es eine Kunst, die befreit und wen wozu? Ist die über Kunstwerke erfahrbare Unabhängigkeit gegenüber Lebenspraxis der Idee von Freiheit verwandt?

Ist die Idee von der Freiheit der Kunst überhaupt noch zu retten? Und wie steht es in diesem Zusammenhang mit der Würde?

In diesen letzten Kernfragen wage ich hier - beeinflusst von und orientiert an einer nicht näher ausgewiesenen Literatur - eine theoretische Überlegung.

 

Ästhetische Wahrnehmung als Akt der Freisetzung

Künstlerische Aktivität ist wesentlich Auseinandersetzung mit dem Menschen. Aisthesis, Wahrnehmung also in ihrer ursprünglichsten Form, ist dabei immer Ausgangspunkt eines kreativen Umgangs mit Wirklichkeit. Umgang mit kann aber noch nicht heißen, dass etwas, nämlich das von mir so bezeichnete Wirkliche, vorfindbar ist, um nach intensiver Betrachtung und kritischer Analyse dann zur weiteren gestalterischen Bearbeitung zur Verfügung zu stehen. Die Wahrnehmung selbst ist Teil dieser Wirklichkeit (des Lebens) und die Wirklichkeit ist das Ereignis dieses prozesshaften Ablaufs.

Das eigentlich Wirkliche für uns (nach dem Wirklichen an sich ist hier nicht gefragt) ist unser wahrnehmendes Verhältnis zur Welt.

Das in der Wahrnehmung sich uns Erschließende wird für uns zum Faktischen der Welt.

Dieses Ereignis der Wahrnehmung ist immer schon begleitet von  einer die Wirklichkeit erschließenden Sprache, deren Codes dem Gemeinsamen der Wahrnehmung – vorerst noch unkritisch, weil noch nicht reflektiert -  das kommunikative Feld eröffnet. Kritisch, im Sinne einer kausalen Logik, gestalten und verändern rationale Begrifflichkeit und wissenschaftliche Konstruktion die Wirklichkeit der so begegnenden Welt.

Im Vollzug, d. h. im Benennen der Wahrnehmung bekundet sich zum ersten Mal ein Interesse, denn das wahrnehmende Verhältnis zur Welt ist begleitet von Haltungen, die der weiteren Betrachtung die Richtung vorgeben oder zumindest tendenziell lenken.

Wenn ästhetische Wahrnehmung tatsächlich qualitativ von anderen Formen des Wahrnehmens unterschiedlich ist, so ist die Differenz einzig im Vollzug sichtbar und kommunizierbar.

Ästhetische Wahrnehmung ist eine der möglichen Formen der Gestalt gebenden Betrachtung  dieser Wirklichkeit. Wir haben es hier mit einer Spielform der Wahrnehmung zu tun, die das Gegebene nicht nach Kriterien der Verwendbarkeit und Machbarkeit auslotet, sondern, wie in vielen kunsttheoretischen Schriften nachgewiesen, wesentlich kontemplativen und/oder imaginativen Charakter hat und im Bereich der Phantasie siedelt. Dieser so weite und seltsam unbestimmte Begriff der Phantasie öffnet zum ersten Mal das Tor zur Freiheit einer vorerst genauso weiten und nicht näher bestimmbaren, entgrenzten Kunst. Die Vorstellungen darüber, was Phantasie im Feld des Ästhetischen ermöglicht ist einzig eingeengt durch die gesetzte Trennung zum Notwendigen und Nützlichen. Wenn für gewöhnlich die Wahrnehmung ein Resultat braucht, also darauf abzielt, ein Wahrgenommenes als vormals unbekannt zum Vertrauten und Berechenbaren zu machen, so mag es zum einen die Erfahrung diese Wahrnehmung betreffend sein, zum andern will es unsere an die ästhetische Wahrnehmung gerichtete Erwartung, dass es nun um etwas anderes, womöglich Wesentlicheres gehen könnte.  Das Ereignis der Wahrnehmung rückt in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.

Ob hier nicht zu vermuten ist, dass das interesselose Wohlgefallen einzig die idealistisch ideale Form der Kunstbegegnung darstellt und es daneben auch in der ästhetischen Wahrnehmung ein Gefälle gibt?  Die begleitenden Parameter dieser gerichteten Aufmerksamkeit gegenüber von Kunst haben im gesellschaftlichen Ritualverhalten Formen angenommen, die im Spiel zwischen Erfahrung und Erwartung deutliche Interessen ausbilden. Die Plötzlichkeit der ästhetischen Erfahrung sowohl beim Kunstschaffenden als auch beim Rezipienten ist damit grundsätzlich nicht verneint, aber die große Pilgerschaft in die Museen ist mehr als nur von Neugierde gesteuertes Verhalten. Die Erwartung, dass sich an diesen ausgezeichneten Orten die ästhetische Erfahrung gezielt herbeiführen ließe, scheint ungebrochen.

Davon abgesehen erwachsen die unterschiedlichen Weisen des Verhältnisses zur Welt alle aus einem Bewusstsein. Im Vollzug wird aber ein deutlicher Unterschied in den Haltungen oder Einstellungen sichtbar. Die ästhetische Einstellung ist neben logischen, wissenschaftlichen, ethischen und religiösen nur eine Spielweise solcher Grundhaltungen, die parallel wie wechselnd das Dasein begleiten. Jede einzelne dieser Grundhaltungen hat ihre Ausrichtung und Prägung. Für sich aber ist keine starr, sondern ständigem Wandel unterworfen. In reflexiver  Betrachtung unserer Erfahrungen, also in kritischer Distanz zur Erfahrung formen sich diese Grundhaltungen, zeigen sie ihren dynamischen Charakter.

Die Besonderheit der ästhetischen Einstellung liegt nun in einer spezifischen Offenheit, sich ganz dem Ereignis der Wahrnehmung zu überlassen, sich in der Wahrnehmung gleichsam zu verlieren. Es ist jener Moment, in dem das Spiel der Phantasie ohne Strategie nach einem Wohin einsetzt.

Innerhalb der individuellen Gesamterfahrung kristallisieren sich notwendig Schwerpunkte heraus, bisweilen wohl auch Automatismen, die den Vollzug der Wahrnehmung steuern. In der Summe, d.h. im sich streitenden Zusammenwirken der unterschiedlichen Weisen der Weltbegegnung strukturiert sich das individuelle wie auch das gesellschaftliche Leben.

Erst im Blick auf die grundsätzliche Differenz der Wahrnehmungsweisen, denen eine Einstellung eignet, die auch Positionierung verlangt, kann die Idee von künstlerischer Freiheit ihr Fundament gewinnen. Läuft der wahrnehmende Vollzug über die ästhetische Einstellung und somit über Kriterien der Phantasie, so liegt die hier begründete Freiheit in der Fähigkeit, sich ganz dem Spiel der Phantasie, d.i. der ästhetischen Idee, hinzugeben. Weil von den Neigungen und Interessen aller anderen Einstellungen zum Leben vorerst unbeeinflusst, sucht die so gewonnene genuin ästhetische Erfahrung nach einem adäquaten Ausdruck. Freiheit heißt hier: Verantwortung einzig gegenüber der ästhetischen Idee. Es ist die Freiheit, alle anderen Wirkweisen des wahrnehmenden Vollzugs auszublenden. Vorerst: denn es wäre eine Beschneidung des Bewusstsein, es würde einem Ausschalten der Urteilskraft gleich kommen, wenn wir uns nur mehr im ästhetischen Wahrnehmungsfeld positionierten. Umgekehrt wäre auch die Negierung des ästhetischen Vollzugs eine Form der Blendung.

Weil der ästhetische Blick nicht von den üblichen Interessen geleitet ist, weil in der Folge Kunstwerke entstehen,  die der ästhetischen Sichtweise verpflichtet sind, ist auch das Kunstwerk das Andere, sind sowohl in der Entstehung als auch in der Beurteilung bzw. Interpretation von Kunstwerken andere Parameter als die der vertrauten Kommunikation erforderlich. Daher eignet sich das vertraute Sprachspiel auch nicht, um solcher Wahrnehmung den adäquaten Ausdruck zu geben.

Verantwortung gegenüber der ästhetischen Idee! Der ästhetischen Sichtweise verpflichtet! - In diesen Wendungen wird eine Notwendigkeit, ja beinah eine Nötigung angesprochen, die im Prozess des Kunstschaffens den Künstler vorantreibt, zu einem Getriebenen werden lässt. Begriffe also, die einen Gegensatz zur Freiheit ansprechen. Und es ist hier wohl an der Zeit, das, was im logischen Erklärungsversuch so distanziert idealistisch klingt aus einer anderen  Erfahrungsebene zu umkreisen.

 

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Theatralisches Zwischenspiel

Man hat sich hineinfallen lassen in das Spiel, vielleicht ist man auch bloß hineingestolpert, manchmal hineingezerrt worden. Jedenfalls ist jetzt höchste Aufmerksamkeit gefordert. Man findet sich in einem Zustand wieder, in dem man sich selbst beobachtet, in dem man sich beobachtet wie man beobachtet, in dem die Dramaturgie des Lebens plötzlich auf eine Bühne wandert und die eigene Position gesplittet ist, denn man ist Akteur, Zuschauer und Kritiker der Gesamtaufführung in einem. Weil das Stück, das sich auf der Bühne ereignet, einem aber nie zufrieden stellt - denn es ist seicht und oberflächlich, zugleich schaurig brutal - wird man zum Regisseur und entwirft Konzepte. Der Schauspieler, der man ist, will den Regisseur nicht folgen und hat sein eigenwillige Vorstellung vom möglichen Fortgang der Szene, der Zuschauer ist nicht einverstanden und pfeift hinein und macht selbst Vorschläge, der Kritiker ist entsetzt, er will nicht mehr zuschauen und kann den Blick doch nicht wenden; er will alles anders. In dem notwendig entstehenden Tumult kommt der befreiende Ruf irgendwo her, ob von der Galerie oder von draußen vom Garderobier oder von einem, der zufällig vorbeischaut, man weiß es leider nicht, obwohl man ihn doch immer so gerne bei der Hand hätte, diesen Rufer. Denn plötzlich weiß man, dass man immer nur auf ihn gewartet hat, dass er schon mal da war und unerkannt seinen Akut setzte und verschwand. Der Inhalt seines Rufes bringt die Lösung. Er ruft:“ Wechsle das Theater!“ Warum nur haben wir das nicht schon vorher gewusst, warum nur haben wir das seit dem letzten Mal vergessen?

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Im positiv besetzten Ausdruck vom Spiel der Phantasie ist es nicht Freiheit, sondern es sind Bewegung, Chaos und schließlich Notwendigkeit, die dominieren. Wenn aus der Breiten von Empfindungen und aus um Klarheit ringenden Gedanken sich vage streitende Ideen formen, dann bedarf es dieses Rufs, wie er im Intermezzo benannt ist. Wenn Rhythmus und Bewegung, Linie, Fläche und Farbe plötzlich in einer Form zusammenfallen, dann hat die Metapher die Herrschaft übernommen und alles geschieht aus konzentrierter Notwendigkeit. Eine Notwendigkeit aber, die, so paradox es klingt, die eigentliche Befreiung bringt. Denn wenn die Metapher sich einstellt, ist das chaotisch ziellose Suchen beendet, bekommt das Denken klare Struktur und Sicherheit. Im Ergreifen der Metapher wird der Künstler zum Souverän des Werkes; in dieser Souveränität zeigt sich seine Freiheit.

In der Metapher kristallisiert sich die ganz in sich selbst ruhende ästhetische Wahrnehmung, wird der Freiheit Gestalt gegeben. Der Metapher folgend, ihrem Rätsel nachspürend, wird der Künstler – mit dem Bild von oben ausgedrückt - in ein neues Theater geführt.

In der Gestaltwerdung des Werkes sind durchaus ekstatische Momente im Spiel, die jenseits jeder Konzeption die Form mitbestimmen.

Ästhetische Wahrnehmung im Vollzug ist zuerst ein Sich-Einlassen in Turbulenzen und Unsicherheit. Freiheit definiert sich auf dieser Stufe als Loslassen-Können von den Sicherheit gebenden, bewährten Strukturen im vernünftigen, empirischen und sozialen Kontext. Es ist eher der Verlust von Grenzen, denn bewusste Grenzüberschreitung und daher auch eher der Zustand der Betroffenheit des Künstlers und nicht provokatives Treffen-Wollen, auf dem die Entstehung des Werkes basiert. In dieser chaotischen Bewegtheit ist äußerste geistige Konzentration erforderlich, um die neue, werkschaffende Regel zu finden. Im Erfassen dieser Regel formt sich die Gestalt gebende, ästhetische Idee, ist die zweite, die souveräne Stufe der Freiheit des Künstlers erreicht. Kunstwerke sind befreiende, metaphorische Versuche zu ästhetischen Ideen.

Im reinen ästhetischen Vollzug, in der Ausschließlichkeit der Konzentration – geistig und gefühlsmäßig - auf  die Bereiche der Einbildungskraft, entstehen Werke, die im Ausgangspunkt alles, im Zugang nichts mit den Fragestellungen der anderen Wahrnehmungsbereiche zu tun haben. Daher können Kunstwerke auch keine Lösungen anbieten, sondern nur Möglichkeiten entwerfen. Die Erwartung von der Entzifferung einer vielfach verschlüsselten Welt über den Röntgenblick des kunstbegabten Genies geht immer ins Leere.

Was im ästhetischen Akt, im Finden der Metapher des Kunstwerks sich ereignet ist eine Erweiterung des Bewusstseins mitten im Tätigsein. Geglückten Werken wird daher auch die Fähigkeit zugesprochen, Geist und Gefühl des Betrachters in eine Bewegung zu versetzen, in der die vertrauten Bezüge subjektiver und gemeinschaftlicher Erfahrung aufbrechen. Soll über Kunstbegegnung der Prozess der Relativierung von gemeinschaftlichen Erfahrungen in Gang gesetzt werden, so verweist dies auf eine plötzliche Erschütterung oder zumindest Irritation eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses und das Einsetzen eines kritischen Dialogs. Im Idealfall wird dieser Dialog auch die Herausbildung eines reinen ästhetischen Urteils im Sinne Kants erlauben, einklagbar ist dieser Idealfall angesichts der ungebrochenen Hochkonjunktur des empirischen Sinnenurteils aber nicht.  

Die Freiheit der Kunst in der Praxis des Kunstschaffens besteht auf dieser genuin ästhetischen Ebene im Sich-Einlassen  auf den nackten ästhetischen Erfahrungshorizont. Kunstwerke, die hier entstehen, siedeln auch nur im Kontemplativen und Imaginativen. Sie sind Entwurfsformen eines erst zu gewinnenden Möglichen. Nur wenn und weil nicht mehr gegen die üblichen Widerständigkeiten angelaufen werden muss, weil in der genuin ästhetischen Erfahrung eine Ausschließlichkeit des Denkens jenseits der Muster unseres Sorgens um die Welt vorherrscht, kann auch das Andere, das Neue in der Kunst entstehen. Erhabenheit, Distanz und Ferne und eine in sich ruhende Aufmerksamkeit sind jene Attribute, die ästhetische Erfahrung in diesem Zusammenhang treffend beschreiben. Daher tritt solche Kunst auch nicht in Streit mit der schnelllebigen Eventkultur unserer postmodernen Gesellschaft.

 

NACHKLANG

Die hier angestellten Überlegungen mit dem Ziel einer Fundierung der Freiheit im künstlerischen Prozess mag zwar als Voraussetzung für jedes Kunstschaffen annehmbar sein, der einzige Weg, wie sich künstlerische Freiheit ereignet, ist es sicher nicht. Der Autonomieanspruch von Kunst ist nämlich von der grundsätzlichen Unabhängigkeit im Finden der Regel des Kunstwerkes zum  besonderen Autonomieanspruch des Kunstschaffenden hin verändert und heißt etwa so: „Der Künstler ist in seinem Schaffen durch nichts zu begrenzen, er kann sich jede Freiheit nehmen, die ihm beliebt!“ Entstanden aus einem mühsam ausgefochtenen Kampf der Kunstschaffenden gegen einen reaktionären Teil der Gesellschaft, hat sich die Forderung der Kunstbetreiber soweit verselbständigt, dass nicht mehr die Kunst Maß und Regel der künstlerischen Praxis wird, sondern die Form des souveränen Bruchs der Spielregeln des gesellschaftlichen Prozesses. Der Künstler darf nun diese Regeln brechen, mehr noch: erst wenn er die Regel bricht, macht ihn das zum Künstler. Widerspruch und Revolte als Impuls gebende, zündende Momente künstlerischer Freiheit verflachen auf dieser Ebene. Wenn alles erlaubt ist, ist das ästhetisch Wertvollere nicht mehr zu bestimmen.  Bisweilen ist der inszenierte Tabubruch das einzige und letzte Fragment, das nun lautstark von der Freiheit des Künstlers berichtet und ein letzter Ausweg für den Künstler, um sich einer breiteren Öffentlichkeit bemerkbar zu machen. Tabubruch für sich ist aber nicht mit ästhetischer Qualität gleichzusetzen. Wieweit der Künstler die ihm zugestandene Freiheit nützen darf, ist eine Frage, die der Künstler selbst zu beantworten hat. Die Antwort gibt er hier mit seiner Kunst und seinem Leben und er ist dabei von ethischer Verantwortung nicht zu entbinden.

In der Freiheit der Kunstbegegnung müssen aber letztlich dieselben Bedingungen erlaubt sein, die dem Künstler zugestanden werden. Der Rezipient, der das Werk in den Blick nimmt, tut dies aus seiner wahrnehmenden Position, die nicht notwendig eine ästhetische zu sein hat. Daher können und dürfen auch die Urteile von Stimmungen und Gefühlen begleitet sein. Die Diskussion um Fragen nach dem ästhetisch Relevanten wird von nun doch wieder emotional aufgeladenen Positionierungen beherrscht. Reflexive wie reine Urteile, die den Qualitäten der Werke gerecht werden, sind erst wieder nach zeitlicher Distanz zu erwarten. Aber sind sie zu erwarten?

Außerdem versetzt die Wahrnehmung des Werkes selbst den Rezipienten in eine Stimmungslage, die nicht notwendig mit den oben genannten Erfahrungen von Plötzlichkeit, Distanz, Erhabenheit, usw. korrespondieren. Kunstwerke haben durchaus die Fähigkeit, das Lebensgefühl substanziell mit zu bestimmen.

Darüber hinaus gibt es neben dem hier durchwanderten Feld der genuin ästhetischen Erfahrung (das ist an anderer Stelle ausgeführt) auch eine Kunst im Raum substanzieller ästhetischer Erfahrung, die die Nähe zum Affekt des Alltäglichen nicht scheut und für die die Frage der Freiheit noch einmal zu stellen wäre.