DIE LINIE

In meinen neuen Arbeiten habe ich die Dominanz der Senkrechten zugunsten meist durchgehender, vielfach sich schneidender und zu sich selbst zurückkehrender Linien verlassen. Die Linie wird zur Metapher des Kontinuums der Zeit und des Lebens. Es gibt aber auch den Bruch dieses Kontinuums, es gibt Neubeginn und Versuch und Irrtum und einfach Heiterkeit. Papier und Leinwand werden zum weiten, trotz der Begrenztheit nicht einengenden Feld. Da bleibt freier Raum zur Entfaltung, da füllen sich wenige begrenzte Flächen mit Farbe, da ist spontane Bewegung. Da beginnen Ideen zu keimen und werden vielleicht  zur Herausforderung für den Betrachter heraus, der Spur entlang zu folgen, bis er, in der Dichte sich schneidender Linien den vorgegeben Faden verlierend an die Grenze des Nachvollziehens und damit an seine Freiheit stößt.

 

Der Wunsch nach Beständigkeit und Dauer, auch nach der Einheitlichkeit der Person als Bewusstsein das ich bin und das ich habe und zugleich das Wissen um die Enge des eigenen Wirkkreises finden in der Serie DIE LINIE ihre Entsprechung. Die immer wieder zu sich selbst zurückfindende Linie führt aber auch in eine solipsistische Enge. Sie hat bisweilen an den Knotenpunkten Festigkeit und Tiefe, aber ihre Tiefe birgt auch die Gefahr der Vereinzelung.

DIE LINIE steht somit in der Spannung zwischen Eindeutigkeit und Fragwürdigkeit. Entstanden aus der Zufälligkeit des Wohin und im Tempo des Werdens der fragenden Entscheidung keinen Raum gebend, vermittelt sie als gewordene Linie plötzlich eine Dominanz und Bestimmtheit. Rückblickend wird alles klar, wirkend und vorausschauend alles Ungewiss. Dass sich umschlossene Felder heiter mit Lebendigkeit füllen, ist die staunen machende Antwort des Lebens.

J.P. 2004